[ 17. Januar 2011 ]

BERLIN – Konzert des Elektronischen Studios der TU beim Festival Ultraschall, 21.11., Radialsystem V

Ultraschall. Das Festival für neue Musik

Konzert des Elektronischen Studios des Fachgebiets Audiokommunikation TU Berlin
Freitag, 21.01.2011 | 22:30 Uhr
Radialsystem V | Holzmarktstraße 33 | Berlin

Pierre Alexandre Tremblay – For Ever Now Soon An End (2010, UA)
5-Kanal digital Audio

Ron Kuivila – Kabelsalat (2011, UA)
Live-Elektronik

Alvin Curran – DJ Ziggurat Meets King Kong (2011, UA)
Live-Elektronik

Tontechnik: Alex Hofmann und Andre Bartetzki

Ein Konzert in Kooperation mit dem Elektronischen Studio der TU Berlin, Fachgebiet Audiokommunikation
und dem Berliner Künstlerprogramms des DAAD, mit freundlicher Unterstützung des British Council.

http://www.kulturradio.de/ultraschall
http://www.ak.tu-berlin.de/studio

Pierre Alexandre Tremblay: For Ever Now Soon An End

„la source de la peur est dans l’avenir, et qui est libéré de l’avenir n’a rien à craindre“ (Milan Kundera, la lenteur)

Zu 45° im Schatten, in der Mitte eines Ozeans von Sand löst sich unser Ich auf: Die Grenze zwischen einem selbst, den anderen, der Welt verschwindet, und nur dann ist der Sommernachtstraum (Albtraum) möglich, statisch in seiner kontinuierlichen Bewegung.

Pierre Alexandre Tremblay (*1975, Kanada) ist ebenso Komponist elektroakustischer Musik wie Produzent und Improvisationsmusiker im Gebiet von Free Jazz und Punk Rock. Sein Interesse gilt der hybriden Konfrontation und Verbindung seiner verschiedenen musikalischen Erfahrungswelten in einer kohärenten poetischen Sprache. Tremblay unterrichtet an der University of Huddersfield. 2010 hatte er einen Arbeitsaufenthalt am TU Studio.

Ron Kuivila: Kabelsalat

Es gibt diese wundervolle Geschichte, dass in den frühen 1950er Jahren Ingenieure der Bell Laboratories Tonaufnahmen von Grillen machten, und diese dann den Grillen vorspielten, um herauszufinden, ob diese darauf reagierten. Erst später entdeckten sie, dass Grillen nur im Ultraschallbereich hören, also oberhalb des Wahrnehmungsbereiches des Menschen. Diese Klangwelt konnten die Tonbandmaschinen der damaligen Zeit weder aufnehmen noch wiedergeben. Ich finde die fleißige Nutzlosigkeit dieser Unternehmung seltsam bewegend.

Im Gegensatz zu hörbarem Schall ist Ultraschall „gerichtet“. Er wird außerdem leichter verändert durch geringfügige Veränderungen der Luft (wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit). Bewegungen jeder Art können in dramatischen Änderungen der Frequenzen im Ultraschallbereich resultieren. Es scheint, als könnte dieser Schall tatsächlich „berührt“ werden. In Kabelsalat werden diese beiden parallelen Klangwelten Ausgangspunkt der Klangerzeugung – es entsteht ein akustischer Raum en miniature, der von Luftströmen ebenso bestimmt wird wie von Programm-Code. Der taktile Aspekt der Klangerzeugung ist vergleichbar der Verwendung eines Mikroskops.

Das Stück ist eine Verbeugung vor den Kompositionen live-elektronischer Musik, bei denen Tische mit kleinen schwarzen Kästchen eine Rolle spielen. Die Verbindung dieser kleinen Geräte in verschiedenen unmöglichen Konfigurationen scheint immer ein furchtbares Durcheinander an Kabeln zu erzeugen, das nur mit einer Mischung aus Aufmerksamkeit und Gnade gehandhabt werden kann. In diesen Werken geht es hauptsächlich um die taktile Annäherung an Klänge, die ihr Eigenleben führen – eine Herangehensweise, die ich in meiner Musik teile.

Ron Kuivila (*1955, USA) studierte Musik (bei Alvin Lucier) und Mathematik. Seine Kompositionen und Klanginstallationen basieren oft auf selbst gebauten oder modifizierten Schaltkreisen und Apparaten. Er darf als Pionier der Verwendung von Ultraschall und Hochspannung in der Musik gelten. Zur Zeit lehr Kuivila als Inhaber der Edgard-Varèse-Gastprofessur für Computermusik des DAAD am Fachgebiet Audiokommunikation der TU Berlin.

Alvin Curran: DJ Ziggurat Meets King Kong

DJ Ziggurat Meets King Kong ist der fantastisch anmutende Titel des zwanzigminütigen Stückes, das ich heute Abend spielen werde – und das unter anderen Umständen sechzig bis neunzig Minuten dauern könnte. Es ist eine Herausforderung für mich, ebenso wie für die beiden quasi fiktionalen Charaktere, die ich als Metapher gewählt habe für mein Ringen darum, fast 2000 sound files zu ordnen und zu verdichten, sie spontan aus meinem Hut zu zaubern, aber nicht wie ein professioneller Magier, der im Vorfeld die Ergebnisse seiner Handlungen kennt, sondern eher wir jemand, der statt Karten Klänge austeilt (wie man es sich in einem luxuriösen Casino vorstellen könnte) – jemand, der die symbolischen Klang-Karten zufällig mischt und wieder mischt, ehe er sie an die Spieler verteilt: an Sie, die Hörer, die Gewinner wie die Verlierer. Was ich heute austeile stammt aus einer großen Sammlung digitalisierter Klänge, die ich während der letzten 30 Jahre zusammengetragen, archiviert, eingerichtet und gespielt hab. Nach dem Niedergang des Analog-Tonbandes und seiner Mehrspursysteme wurde der Midi-Keyboardsampler mein Instrument der Wahl, um elektronische Musik zu machen. Und mit dieser Verbindung von einem Relikt der nicht so weit zurückliegenden europäischen Vergangenheit (des mehroktavigen Tasteninstruments) mit einem Sampler via Midi-Protokoll bin ich in nun in der Lage, „die gesamte Welt zu spielen“, jede Kombination von Klängen jeden Ursprungs (von Menschen, Tieren, Maschinen, Elektronen, aus der Musik und der Umwelt). Lassen Sie sich nicht von meinem Titel in die Irre führen, das sind nur schicke Wörter für diesen speziellen Anlass. Im Nachhinein könnte man sagen, ich hätte die letzten 30 Jahre das gleiche Stück gemacht. Falsch! Jede Aufführung ist eine neue spontane Komposition, oft mit einer bestimmten Auswahl von Samples und einem für die jeweilige Situation gestalteten Setup. Die kombinatorischen Möglichkeiten sind nahezu unendlich, und in einer Aufführung kann ich ebenso mit zwei bis drei Samples arbeiten wie mit allen 2000 – wobei es reichlich zu Redundanz kommen kann, da jedes „Instrument“ Klänge anderer „Instrumente“ enthalten kann, wie zum Beispiel Schiffshörner, Nebelhörner, das Lachen von John Cage, die Paarung von Bisons und andere Klänge von menschlichem Sex, Kinderschreinen, Frauensingen. Herausragende Samples von Meistern, die mein musikalisches Leben bestimmt haben von den Aborigines bis Senar (dem türkischen Sänger), bis Steve Lacy, Braxton, Zorn, Django Rienhardt, Rzewski, Gesualdo, anonyme Rapper aus Oakland, Taxihupen Orchester aus Ghana, monglische Hirten, Ella Fitzgerald, John Duncan, The Tommy Dorsey Big Band, Maryanne Amacher, indische Tabla-Spieler und endlose Formen von Musik aus aller Herren Länder, inklusive die großartige Musik von Insekten, Säugetieren, Fischen und Vögeln. Diese universelle Symphonie gehört uns allen, überall. Ich unternehme nichts anderes, als kleine Abschnitte auszuwählen und zu isolieren und sie in einer klanglichen Zeitkapsel aufzubewahren.

Alvin Curran (*1939, USA) ist Mitbegründer der Musica Elettronica Viva (Rom, 1966). Seine Musik reicht von Soloperformances und Kammermusik bis zu Radiokunst und groß angelegten theatralischen Performances im Außenraum. Er beschreibt seine Ästhetik als „offen für alle Klänge, Räume und Menschen.“ Curran lebt und arbeitet in Rom. Er war 1964 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

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