Subject: Unerhörte Musik | Newsletter | 2015 | Nr. 18
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Unerhörte Musik | Newsletter | 2015 | Nr. 18
NEWSLETTER 2015 | Nr. 18
10. und 17. November
„Wo die konkrete Kunst eintritt, zieht die Schwermut mit ihren grauen
Koffern voller schwarzer Seufzer fort.“
(Hans Arp)
DEGEM,
das renommierte finnische Uusinta-Ensemble in der üppigen Besetzung
Flöte, Klarinette, Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Elektronik
thematisiert in seinem Programm Zeichen am kommenden Dienstag, 10.
November die Beziehung zwischen Instrument und des umgebenden
Klangumfeldes sowie seine eigenen Begrenzungen.
Diese werden in 6 Arbeiten der Komponisten Sami Klemola, Perttu
Haapanen und Johan Tallgren aus Helsinki sowie Sarah Nemtsov,
Annesley Black und Maximilian Marcoll (der – als special guest –
auch selbst Schlagzeug spielen wird) aus Berlin erforscht.
„Die Bedeutung oszilliert zwischen maskiert und unmaskiert, die
Situation zwischen Bühne und Außenaufnahme.“
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Der Pianist Prodromos Symeonidis gehört zu den wichtigsten Interpreten
Neuer Musik unserer Zeit.
In seinem Recital am Dienstag, 17. November erkundet er unter dem
etwas sperrigen Titel Intermediale Einflüsse in der Musik :
Elektronik, Architektur, Film.
Umso sinnlicher ist das Programm:
Die beiden Teile beginnen jeweils mit einem rein akustischen Werk von
Iannis Xenakis und Mauricio Kagel, das den Schwerpunkt der
jeweiligen Hälfte darstellt, zunächst die Architektur und nach der Pause
der Film.
Anschließend folgen Werke mit Elektronik; in der ersten Hälfte aus dem
Bereich der Live-Elektronik von Oliver Schneller und Chengbi An,
also mit Klängen, die vom Pianisten beeinflusst werden, und in der
zweiten Hälfte mit festkomponierten Tonbandaufnahmen von PerMagnus
Lindborg, Joyce Bee Tuan Koh, João Pedro Oliveira und Pierre
Jodlowski.
„Eine Verbindung zwischen Architektur und Musik wird schon seit der
Antike bezeugt. Später bezeichnete Schopenhauer die Architektur als
„gefrorene Musik“ und Goethe als „stumme Musik“. Umgekehrt wurden
Musikwerke oft als Bauwerke betrachtet, insbesondere beim Komponisten
Iannis Xenakis. Sein Mentor, der berühmte Architekt Le Corbusier,
glaubte, Intervallproportionen in beiden Künsten werden vom Menschen auf
vergleichbare Weise wahrgenommen: „Die Musik ist Zeit und Raum wie die
Architektur“.
Einflüsse und Elemente in der Musik aus der Filmkunst gibt es dagegen
erst seit weniger als hundert Jahren; gemeint ist hiermit nicht die
Filmmusik, die in Zusammenhang mit einem Film entsteht, sondern
filmische Einflüsse auf reine, nicht programmatische Musik.“
Um 19:45 wird Prodromos Symeonidis eine eine Einführung in das
Programm und das Konzept geben.
(Das ganze Konzert wird am Folgetag, 18.11. um 19:00 Uhr im Theater
Brandenburg wiederholt)
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Inhalt
Dienstag, 10. November 2015 | 20:30 Uhr | Uusinta-Ensemble
Uusinta-Ensemble
Malla Vivolin, Flöte
Lauri Sallinen, Klarinette
Emil Holmström, Klavier
Eriikka Maalismaa, Violine
Max Savikangas, Viola
Sirja Nironen, Violoncello
Anders Pohjola, Electronik
special guest: Maximilian Marcoll, Percussion
Zeichen
Sami Klemola
Peak (2014)
für Klarinette, Violoncello, Klavier und Elektronik
“Refrigerator was silent for a while and started to make
noises again. Is the new noise same or not the same noise
that it used to be? Now, I will include a concept of an
“agent” which doesn’t mean a physical sound producing
element, but a serie of sounds that hearing links together.
The sound of refrigerator is an “agent”, that consists of
sounds that follows each other in time and are called the
“noise sections”. But, if the sound of the refrigerator has
essentially changed, i consider that something has happened
to the “agent“ and its not clear that the same “agent“ is
present anymore” Erkki Kurenniemi “theory of sounds”.
Annesley Black
Aorko (2006/2009)
für Viola und Elektronik
Aorko (for solo viola with 3 loudspeakers – 2009) is based
on my piece Maiko (for solo viola ~ 2006). In Maiko I
attempted to apply the structures of jokes stemming from
Sigmund Freud’s book “Der Witz und seine Beziehung zum
Bewusstsein” to music. Techniques, as Freud describes them,
such as re-ordering, double meanings, repeating similar
material “full and empty“, or with or without meaning, which
I applied to musical materials, without attempting to
achieve humorous results.
At the same time I explored the especially witty
relationships between space, time and pitch continuums. This
can be observed in the position of the finger pressing
different points on the string and the dissimilar
exponential distance between the pitches. In the score the
dimensions of time and pitch are depicted in space,
requiring a spatial interpretation from the musician, who
plays in a three-dimensional room.
In Aorko this multidimensionality is once again amplified, in
that the ideas that are thematised in Maiko now are applied
to a live-processed electronic level. Three loudspeakers are
need for the realisation, building with the viola a virtual
string quartett — an implementation of the old viola joke:
“Announcement in the newspaper: Famous, established string
quartet seeks 2 Violins and a Cellist for gemeinsame concert
activites.” This virtual string quartet I have created
allowed me to apply microvariation to infinitely linkable
parameters, until double meanings transform into polysemy
and the three dimensional room becomes n-dimensional.
Perttu Haapanen
Rain Songs (2011/rev.2013)
für Flöte, Violine und Violoncello
Sarah Nemtsov
Sechs Zeichen (2010)
für Violoncello und präpariertes Klavier
Johan Tallgren
Quatuor à Royaumont (1996-1999/2002)
für Klarinette/Bassklarinette, Klavier, Violine und Violoncello
Maximilian Marcoll
Compound No.4: FRICTION MACHINE ALARM
SIGNAL CONSTRUCTION (2010)
for Violin, Viola, two Ad-Hoc-Players, BlackBox and Electronics
In Compound No.4 kommen vor: Ein ICE-Bordrestaurant mit
piependem Gerät; eine quietschende Rolltreppe am Kölner
Hauptbahnhof; Ein Alarmsignal nicht näher bestimmter
Herkunft, aufgenommen im Innenhof vor meiner Wohnung in
Neukölln; Ein Flugzeug kurz nach der Landung mit
knirschendem Kinderwagen auf dem Rolllfeld; Beiläufiges
Fingergetrommel einer Freundin; Hämmern von Bauarbeitern bei
Renovierungsarbeiten an der Aussenfassade meines Wohnhauses;
Wind während einer Zugfahrt mit geöffneten Fenstern;
Uusinta Ensemble
Das Uusinta Ensemble ist ein international anerkanntes Ensemble für
zeitgenössische Musik, das 1998 in Helsinki gegründet wurde. Neben
seiner Heimatstadt Helsinki tritt Uusinta regelmäßig in anderen
europäischen Ländern auf. Im Frühjahr 2014 spielte das Ensemble erstmals
in den Vereinigten Staaten, als es das Eröffnungskonzert des MATA
Festivals in New York gab. Bisher hat Uusinta mehr als hundert Werke
uraufgeführt. Das Hauptziel des Ensembles ist, spannende Kompositionen
aus allen Ländern bei seinen Konzerten in Helsinki und im Ausland zu
Gehör zu bringen. Uusinta pflegt eine rege Zusammenarbeit mit diversen
Ensembles für Neue Musik und arbeitet regelmässig mit international
renommierten Komponisten.
Uusinta kooperierte mit den Ensembles Aleph (F), Adapter (D) und
Ensemble Espai Sonorin (E) und den Komponisten Beat Furrer (A), Kaija
Saariaho (FI), Chaya Czernowin (USA), Simon Steen-Andersen (DK), Mark
Andre (D), Michel van der Aa (NL), Hèctor Parra (E).
„Wie kultiviert und phantasievoll die Uusinta Musiker spielen, zeigte
sich im ersten Angebot des Abends“ sie führten „ernst und würde“ und mit
„spielerischer Leichtigkeit“ vor. – Steve Smith, The New York Times,
April 2014
“Ich bin sehr beeindruckt vom Engagement des Ensembles. Es ist wirklich
ein Weltniveau.” – Mark Andre, Helsinki November 2014
“Die hohe Qualität von Musica Nova war zweifellos auch das Verdienst von
Uusinta …beeindruckende Musikalität und Präzision“ – Michael Rebhahn,
Neue Zeitschrift für Musik 2/2011
uusintaensemble.fi
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Dienstag, 17. November 2015 | 20:30 Uhr | Prodromos Symeonidis
EINFÜHRUNG: 19:45 UHR
Prodromos Symeonidis, Klavier
Intermediale Einflüsse in der Musik
Elektronik, Architektur, Film
Iannis Xenakis
Evryali (1973)
für Klavier
Oliver Schneller
Five Imaginary Spaces (2001/02)
für Klavier und live-Elektronik
Oliver Schnellers fünf imaginäre Räume eröffnen dem Hörer
fantastische akustische Environments, die unterschiedliche
Eigenschaften des musikalischen Raumes präsentieren. Was sie
miteinander vereint, ist die Idee mehrerer verschiedener
Blickwinkel, die ein und das selbe Objekt betrachten. Die
Elektronik ist so konzipiert, dass sie sehr interaktiv mit
der Musikerin agiert, quasi als virtueller Duo-Partner.
I. Ein gewölbter Raum, in dem sich Objekte auf glatten
Bewegungsbahnen bewegen. II. Ein Stoff-ähnlicher reaktiver
Raum, der jedes Mal beim Anfassen durch ein Objekt in
komplexe Mustern gerissen wird. III. Ein offener, ebener und
erwartungsvoller Raum, der Objekte als Splitter und
Fragmente widerspiegelt. IV. Ein gewendelter Raum, in sich
selbst kleiner abgebildet, in welchem Objekte wie ein
fraktales Rhizom wachsen. V. Ein dicht konstruierter,
unordentlicher aber elastischer Raum, dessen Gebilde
progressiv alle Objekte miteinander verbindet.
Chengbi An
Gediao (2006)
für Klavier und live-Elektronik
Gediao“ bedeutet auf chinesisch den Ausdruck der Kunst durch
ihren harmonischen Inhalt und Struktur. Der Aufbau des
gleichnamigen Werkes von Chengbi An folgt einer alten
orientalischen Form, in der der Komponist im Zentrum des
Stückes ein fantastisches Klanggebilde schöpft. Im Kontrast
dazu stehen Anfang und Ende mit wilden Passagen und
Ausbrüchen. Gleich am Anfang hört man einen mit Hilfe der
Elektronik alterierenden Klavierklang, der die Unsicherheit
und Unstabilität einer vollkommenen Situation darstellt. Und
ganz zum Schluss repräsentiert das fade out des forte-Echos
das unendlich fortwährende Schreiten eines Künstlers zum
„Gediao“, zum Ausdruck seiner Kunst. Der elektronische Teil
des Werkes wird, wie bei dem von Oliver Schneller, vom
Pianisten live gesteuert.
Mauricio Kagel
MM51 (Ein Stück Filmmusik) (1977)
für Klavier und Metronom
Drei Miniaturen aus der Sammlung „Spectrum 4“ für Klavier und
Soundtrack:
PerMagnus Lindborg
Búgó Resonances (2003)
In Búgó Resonances erklingt durch das Tonband ein
“Búgó-csiga”, ein ungarischer drehender Kreisel. Der Pianist
produziert eine Aufführung, indem er die Klänge des Kreisels
heraushört und mittels des Klaviers widerhallt. Es gibt ein
festgelegtes Notenmaterial, das jedoch in verschiedenen
Weisen spielbar ist, und bei dessen Interpretation der
Pianist eine große Freiheit hat. Er muss es nur passend und
geschmackvoll in den elektronischen Teil einbauen.
Joyce Bee Tuan Koh
Piano Pearls (2003)
João Pedro Oliveira
Looking into the Mirror (2003)
für Klavier und live-Elektronik
In diesem Stück gibt es zwei Akteure: die Klavierklänge und
die elektronischen. Jeder von ihnen ist ein Spiegelbild des
anderen. Jeder hört dem anderen zu und führt einen Dialog
mit ihm. Mal ergänzen sich die beiden, mal kämpfen sie oder
kooperieren sie miteinander und mal ignorieren sie sich.
Die elektronischen Klänge kennzeichnen sich durch eine
Kristallklarheit und Transparenz.
Pierre Jodlowski
Série noire (Thriller) (2005)
für Klavier und Soundtrack
Diese Komposition ist von der Welt des Thrillers inspiriert
und genauer der Thriller-Filme. Ich habe versucht, einen
fiktiven Raum zu schaffen, in dem Charaktere und Helden aus
verschiedenen Filmen sich miteinander begegnen. Man kann
dabei Ansätzen einer Handlung verfolgen: Ein Mann wird
vermisst. Die Leute, die nach ihm suchen, finden heraus,
dass er das Opfer einer Verschwörung ist. Er ist gefangen
worden und wird für immer von den Menschen, die ihn lieben,
getrennt sein. Die pianistische Schreibweise entspringt aus
diesem erzählerischen Kern und verwendet hauptsächlich drei
Elemente: Eine Figur aus drei Noten, die gleich am Anfang
erklingt und verwendet wird, um Übergänge im Stück
hervorzuheben, sehr schnelle Akkordfolgen oder Tonleitern,
die sich mal teilen und mal in komplexen Gesten verdichten
sowie glockenartige Akkorde, die eine innere, schwebende
Welt andeuten. Jedes dieser Elemente ist entwickelt worden
und steht in Verbindung mit dem Soundtrack. Im letzten
finden sich Momente von hoher Spannung, Unterbrechungen und
komische Konversationen. Ein Sinn für Humor und ein Hauch
von „Klischee“ sind hier offensichtlich. Die ständigen
Überlagerungen von Stimmen und Geräuschen aus der realen
Welt geben uns den Eindruck einer Filmmusik. Das ist jedoch
eher das Gegenteil, ein „Film der Musik“, bei dem jeder
Zuhörer mit Hilfe dieser Klangräume sich seine eigene
Filmwelt vorstellt.
Prodromos Symeonidis, Klavier
Nach der Auszeichnung mit insgesamt sieben Preisen beim „Concours
Olivier Messiaen piano contemporain 2003“ (Paris) und beim „Concours
International de piano d’Orléans 2006“ nahm Prodromos Symeonidis den
Platz eines wichtigen Interpreten in der Welt der zeitgenössischen Musik
und der klassischen Musik überhaupt ein. Sein Spiel hat oft bei großen
Persönlichkeiten und Kritikern Begeisterung und Lob hervorgerufen… „un
grand artiste“, „un roi du piano“ (Yvonne Loriod Messiaen), „an
outstanding technique and a superb musical sensitivity“ (Kent Nagano),
„geistig wie manuell eindringliches Spiel“, „außerordentlich
anschlagsvariabel“ (FAZ), „einer der herausragenden Interpreten
zeitgenössischer Musik“ (Piano News).
Während seiner Jugend in Griechenland gewann Prodromos Symeonidis
zahlreiche Preise bei nationalen und internationalen mathematischen
Wettbewerben mit größtem Erfolg eine Bronze Medaille in der 30.
Internationalen Mathematischen Olympiade 1989. Anschließend absolvierte
er in Köln und Berlin ein pianistisches Studium bei Karin Merle, Arbo
Valdma und Georg Sava. Parallel dazu arbeitete er auch mit Yvonne
Loriod-Messiaen, Claude Helffer und Dimitri Bashkirov.
Seinen internationalen Wettbewerbserfolgen folgten Auftritte in vielen
bedeutenden Konzertsälen und Festivals weltweit. Er machte Aufnahmen für
den SWR2, Radio Bremen, France Musique und RCF Orléans sowie mehrere CDs
für das deutsche Label Telos Music.
Neben seinen Tätigkeiten als Interpret und Ensembleleiter ist Prodromos
Symeonidis auch als Komponist und Pädagoge tätig. Er wurde in
zahlreichen Institutionen für Meisterkurse oder Vorträge eingeladen, wie
im Zentrum für zeitgenössische Musik Acanthes, in der Hochschule für
Musik Hannover, im Conservatoire Royal de Liège und in der Soongsil
University in Seoul.
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Gute Musik, eingebettet in schlüssige Konzepte, was will man mehr?
Mit immer herzlichen Grüßen,
Ihre Rainer Rubbert und Martin Daske
Die Unerhörte Musik wird im Jahr 2015 gefördert aus Mitteln der Stiftung
Deutsche Klassenlotterie Berlin
Alle Veranstaltungen finden im BKA-Theater, Mehringdamm 34, 10961
Berlin, statt. Telefon: 030 – 20 22 007
Eintritt: 12,- / 8,- €
Zehnerkarte: 70,- / 50,- € (übertragbar)
http://www.unerhoerte-musik.de
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