Von: neuemusik@kulturserver-nrw.de
Datum: Fri, 25 Feb 2022
Betreff: [Neuemusik] Gazette Neue Musik in NRW – Ausgabe März 2021
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März 2022
Gewesen: Rossum’s Universal Robots in Köln – Gürzenich-Orchester mit Matalon und B.A. Zimmermann
Angekündigt: Das Schweigen der Dafne in Köln – new counterpoints in Düsseldorf u.v.a.m.
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[Rossum’s Universal Robots in Köln]
Am 2.1.1921 wurde in Prag Karel Čapeks Theaterstück Rossum’s Universal Robots uraufgeführt, das nicht nur als das „schlechteste wichtige Stück seiner Zeit“ (Isaac Asimov) Furore machte, sondern uns auch die Wortschöpfung Roboter bescherte (nach dem tschechischen robota = Arbeit) und ein Grundschema vieler dystopischer Mensch-Maschine-Erzählungen behandelt: Der Mensch kreiert ein künstliches Wesen, das sich verselbständigt und schlussendlich gegen seinen Schöpfer wendet. Nun ja, selbst Gott ist dieses Malheur passiert. Irgendwann hat er es aufgegeben, mit Sintfluten und dergleichen gegenzusteuern, sich einfach aus dem Staub gemacht und darauf vertraut, dass der Mensch sich selber den Garaus machen wird, eine Rechnung, die aufzugehen scheint. Doch bevor es soweit ist, hat sich das Ensemble gamut inc um die Computermusikerin Marion Wörle und den Komponisten Maciej Śledziecki des Dramas angenommen und Rossum’s Universal Robots als Musiktheater zum Mittelteil ihrer Mensch-Maschine-Trilogie erkoren. Das Ergebnis war nach der Uraufführung in Berlin am 5. und 6.2. im Comedia Theater in Köln zu erleben und basiert auf einem Libretto von Frank Witzel, das nach der Vernichtung der Menschheit einsetzt: Der Forscher Alquist hat als einziger überlebt und interagiert mit den beiden nach menschlichen Vorbildern erschaffenen Maschinenwesen Helena und Primus, für die er die im allgemeinen Getümmel verlorengegangene Reproduktionsformel rekonstruieren soll. Doch statt sich an die Arbeit zu machen, kreist das Dreigestirn um die ewig gleichen Themen Leben und Tod, Freiheit und Determination, Individualität und Gesellschaft, Gleichheit und Macht und dabei kann man rasch feststellen, dass wir in den letzten 100 Jahren zwar von einer technischen Revolution in die nächste getorkelt, im Bereich der philosophischen Grundlagen und -fragen aber keinen Schritt weiter gekommen sind. Dieses Auf-der-Stelle-treten und Um-sich-selbst-kreisen setzt gamut inc. auf kongeniale Weise in Szene: Das minimalistische Bühnenbild (Nina Rhode), bestehend aus sieben kinetischen Scheiben, die unterschiedlich platziert und in mal grellfarbenes mal weißes Licht getaucht werden, entfaltet einen hypnotischen Sog, der auf musikalischer Ebene durch Schichtungsverfahren, mechanische Repetition und isorhythmische Phrasen erzeugt wird. Dabei begegnen sich Computerklänge, die gleich zum Auftakt als wummerndes Beben durch den Raum wabern, mit den Stimmen des großartigen RIAS-Kammerchors, der – teils in Großaufnahme – als Projektion die gesamte Rückwand einnimmt und uns mit dicht gewebtem Wohlklang umfängt. Die beiden Maschinenwesen Helena und Primus sind als Sopran (Gina May Walter) und Countertenor (Georg A. Bochow) in ähnlicher Stimmlage besetzt, was ihre individualitätsberaubte Künstlichkeit betont, die besonders Bochow mit schneidender Kälte zum Ausdruck bringt. Alquist (Patric Schott) ist der einzige, der sich mit seiner markanten Sprechstimme dem rotierenden Strudel entzieht, aber gerade das lässt ihn, wie auch sein spärlich beleuchteter Schreibtisch am Bühnenrand, antiquiert erscheinen. Man merkt bald, dass die vermeintliche philosophische Tiefe ebenfalls nur simuliert ist, nur altbekannte Worthülsen verschoben werden, weshalb die Textverständlichkeit ohne Verlust der Musik geopfert werden kann.
Eine vierte Figur (dargestellt durch den Tänzer Ruben Reniers) lässt sich womöglich als nächster Evolutionsschritt interpretieren, sie entgeht in ihrer Stummheit dem „Gift menschlichen Räsonierens“, verlässt sich ganz auf den Körper und gleitet in eleganten, tänzerischen Posen durch den Raum. Doch ihr schwarzes All-over-Kostüm, das alles, selbst das Gesicht bedeckt, nichts hinein und nichts hinaus lässt, ist auch als weitere Stufe einer solipsistischen Selbstverstrickung lesbar, die keinen Ausweg kennt.
Aus all dem entsteht ein präzise ineinandergreifendes Räderwerk. Wer sich ihm entzieht, quasi einen Moment lang aus dem Takt gerät, stellt schnell fest, dass hier musikalisch, textlich und optisch nichts Neues geboten wird, nicht einmal besondere Komplexität wird angestrebt. Doch gerade damit bewegt sich gamut inc, das sich als retro-futuristisches Musikmaschinenensemble versteht, am Puls der Zeit.
[Gürzenich-Orchester mit Langs Metropolis in einer Neuvertonung von Martin Matalon und B. A. Zimmermann in der Kölner Philharmonie]
Interessanterweise war kurz darauf ein weiterer Science-Fiction-Klassiker in neuer Vertonung zu erleben: Am 16.3. wurde in der Kölner Philharmonie Martin Matalons Interpretation von Fritz Langs Metropolis, an der er schon seit 1995 arbeitet, als Metropolis rebootet in einer neuen Fassung für Orchester und Elektronik aus der Taufe gehoben. Schon bei seiner Premiere 1927 entpuppte sich Langs Opus magnum als ambivalentes Meister-Machwerk. Ein erzkonservatives Gesellschaftsmodell (Hirn regiert Hand) trifft auf obskure Technikvisionen, atemberaubende futuristische Architekturlandschaften auf altertümelnde Szenarien in Kathedralen und Katakomben, das Ganze garniert, wie schon die Zeitgenossen bemerkten, mit einer „Konzentration fast jeder möglichen Dummheit, jeden Klischees, jeder Plattitüde und Ungereimtheit über mechanischen Fortschritt und Fortschritt im Allgemeinen“ (H.G. Wells), „trivial, schwülstig, pedantisch, von einem übermächtigen Romantizismus“ (Luis Buñuel). Mit Mitteln der Musik hier gegenzusteuern, versucht Matalon erst gar nicht, statt dessen setzt er wie Lang auf Überwältigung: Das Orchester (Gürzenich-Orchesterunter der Leitung von François-Xavier Roth) wird um ungewöhnliches Instrumentarium wie E-Gitarre und E-Bass sowie außereuropäische Schlaginstrumente ergänzt, was bei Bedarf für einen Schuss Exotik sorgt. Vor allem erzeugt Matalon mit Hilfe des IRCAM einen fulminanten elektronischen Klangraum, der im weiten Rund der Kölner Philharmonie hervorragend zur Geltung kommt. Gleich zum Auftakt wird das Auditorium von jagenden, an- und abschwellenden Klangwogen geflutet, die sich zu schepperndem Maschinensound verdichten. Das Geschehen wird zwar nicht 1:1 akustisch illustriert, aber mit seiner Tendenz, sich aus allen Ecken und Winkeln zu bedienen, gewissermaßen den Fundus zu plündern und auf Effekte zu setzen, bleibt Matalon Langs Original treu. Perlende Harfen und schmissige Bläser treffen auf klöppelnde Vibraphone, immer wieder durchfurcht vom jaulenden und schlierenden Sound der E-Gitarre und aus dem Off heranbrandender Elektronik. Diese Entsprechung funktioniert auch dann, wenn Matalon die finale Katastrophe, eine menschengemachte Sintflut, mit brüchigen, fragilen Klängen kontrastiert.
Rossum’s Universal Robots und Metropolis rebootet saugen uns in retro-futuristische Blasen, in denen sich Vergangenheit und Zukunft so herrlich auf die Füße treten, dass man die Gegenwart mühelos ausblenden kann – wobei ich persönlich die minimalistische Variante der opulenten vorziehe.
Bei soviel Retro-Futurismus könnte man glatt annehmen, dass die Zeit die Gestalt einer Kugel hat, ein Konzept, das bekanntlich Bernd Alois Zimmermann vertrat. Am 12.2. wollten der Regisseur Calixto Bieito und François-Xavier Roth mit seinem Gürzenich-Orchester Zimmermanns Jahrhundertoper Die Soldaten in der Philharmonie auf die Bühne bringen, aber dieses Vorhaben war in Zeiten pandemiebedingter Einschränkungen offenbar zu groß gestrickt und soll auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. So ganz wollte man sich aber nicht geschlagen geben und realisierte stattdessen unter dem Titel Canto di speranza ein inszeniertes Konzert, bei dem fünf Werke Zimmermanns aus sehr unterschiedlichen Phasen seines Schaffens zu Gehör kamen. Gruppiert um einen Ausschnitt aus seiner 4-Kanal-Bandaufnahme Tratto II traf die unmittelbar nach dem Krieg entstandene Sinfonie in einem Satz auf die Musique pour les soupers du Roi Ubu, ein Ballet noir, bei dem sich Zimmermann in parodistischer Weise quer durch die Musikgeschichte zitiert, um mit sarkastischem Biss seine Gegenwart zu sezieren. Und während das Orchesterwerk Photoptosis in allen Farben sprüht und funkelt, werden wir in Stille und Umkehr Zeuge eines schmerzhaften Auflösungsprozesses. Das lässt sich nicht bebildern und das versucht Bieito auch nicht, stattdessen platziert er kleine Szenen, Irritationen und Störfeuer; er lässt seine beiden Darsteller (Alexandra Ionis und Leigh Melrose) auf aufgebockten Fahrrädern munter gegen die Verzweiflung anstrampeln oder in einem gläsernen Schneewittchensarg ruhen – mit einer Zimmerpflanze zwischen den Füßen. Dadurch entsteht eine Stimmung, bei der unter der Oberfläche des Verspielten ein Abgrund des Makabren, der Ausweglosigkeit aufscheint. Ob das zum Schluss aufflammende Licht als Hoffnungsschimmer gelten kann, muss jeder für sich selbst entscheiden.
[Termine im März]
Köln
In der Philharmonie stehen Werke von Andrew Norman am 6.3., Wolfgang Rihm am 12.3., Tebogo Monnakgotla am 13.3.,Witold Lutoslawski am 13., 14. und 15.3., Bruno Hartl am 22.3. und Marko Nikodijevic am 27.3. auf dem Programm. Die Alte Feuerwache kündigt das Ensemble Bruch am 6.3., Das Schweigen der Dafne, ein Musiktheater für eine Tänzerin, einen Schauspieler und ein Kammerensemble, am 19.3., PS – ein Veto gegen die Zeit und den Lauf der Dinge am 26. und 27.3. und das E-Mex-Ensemble mit Limina von Valerio Sannicandro am 30.3. an. Die Musikfabriklädt am 7.3., 14.3. und 28.3. bei freiem Eintritt zu ihren Montagskonzerten.
Am 1.3. befassen sich das E-Mex-Ensemble und Martin Zingsheim im WDR-Funkhaus mit der schrägen Seite Amerikas, das Trio Hübsch/Schubert/Wierbos spielt am 6.3. als Carl Ludwig Hübschs Langfristige Entwicklung des Universums im Atelier Dürrenfeld/Geitel, ebenfalls am 6.3. treffen Jörgensmann/Dell/Ramond/Kugel beim Chamber Remix auf Yérri-G Hummel, Irene Kurka interpretiert am 13.3. in der Markuskirche in Porz further in summer than the birds V von Eva-Maria Houben, das Trio Abstrakt ist am 26.3. im Alten Pfandhaus zu Gast und die nächste Soirée Sonique ist am 30.3. geplant.
Fast tägliche Events sind im Loft zu erleben und jeden 2. und 4. Dienstag im Monat funkt 674.fm Elektronik und Klangkunst in den Äther. Weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln sowie ON – Neue Musik Köln und Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.
Ruhrgebiet
Avner Dormans Die Kinder des Sultans, eine fantastische Oper für Menschen ab 8 Jahren, hat am 6.3. in DortmundPremiere, im Konzerthaus stehen Werke von Philipp Maintz am 9.3. und David Lang am 13.3. auf dem Programm und im domicil gibt am 17.3. The Dorf sein monatliches Gastspiel.
Bereits am 2.3. ist The Dorf im Steinbruch in Duisburg zu erleben. In der Mercatorhalle spielt am 6.3. das Armida Quartett Marko Nikodijevic 2. Streichquartett und am 27.3. interpretiert Kai Schumacher Frederic Rzewskis The People United Will Never Be Defeated!
Düsseldorf
Zwei Konzerte in der Reihe new counterpoints, die eigentlich schon 2020 bzw. 2021 stattfinden sollten, holt der Verein musik21 am 20.3. endlich nach. Zu Gehör kommen fünf Uraufführungen. In der Tonhalle erwarten uns das Bruckner Orchester Linz und Martin Grubinger mit Bruno Hartls Konzert für Multi-Percussion und Orchester op. 23 am 20.3.und das notabu.ensemble mit einem Konzert zum 70. Geburtstag von Wolfgang Rihm am 30.3.
Sonstwo
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössiche Musik befasst sich in der Reihe ‚Hören und Sprechen über Neue Musik‘ am 4.3. mit Johannes Maria Staud und hat am 26.3. Stefan Bauer und das SKR Trio zu Gast.
Die Bielefelder cooperativa neue musik widmet ihren nächsten Jour fixe am 7.3. Toshio Hosokawa und in der Zionskirche findet am 20.3. ein Neue-Musik-Konzert mit Viktoriia Vitrenko statt.
Das Bruch Ensemble bringt am 3.3. zeitgenössische Musik ins Bonner Beethoven-Haus.
In der Black Box in Münster sind Jan Klare und Kollegen am 4.3. und das Kodian Trio am 24.3. zu Gast.
Dominik Susteck, der ehemalige Organist an der Kunst-Station Sankt Peter in Köln, gestaltet an seinem neuen Wirkungskreis in Paderborn unter dem Titel ‚blau – experimentelle musik im kirchenraum‘ am 2.3. ein gemeinsames Konzert mit Irene Kurtak.‚b
Der ort in Wuppertal kündigt einen Film über Arvo Pärt in der Reihe cine:ort am 3.3. und neue Kammermusik mit dem Cello-Trio Ono am 19.3. an.
Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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