[ 12. Mai 2019 ]

DEGEM News – Nachruf Georg Katzer

Nachruf Georg Katzer (1935-2019)

Georg Katzer, geb. 1935 in Habelschwerdt, Schlesien, studierte Komposition bei Rudolf Wagner-Regeny, Ruth Zechlin und Karel Janáček (Prag). Von 1961 bis 1963 war er Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR bei Leo Spies und Hanns Eisler. 1978 wurde er Mitglied der Akademie der Künste der DDR und leitete dort eine Meisterklasse für Komposition bis 1990.

Sein kompositorisches Werk ist von einer ungewöhnlichen Breite. Es umfasst Werke für kammermusikalische Besetzungen und Orchester, drei Opern und zwei Ballette. Erwähnt seien die Kinderoper „Das Land Bum Bum” Komische Oper Berlin 1978, mit einem Libretto von Rainer Kirsch, in dem auf unglaubliche Weise ein Überwachungsstaat vorgeführt wird, „soundhouse” für großes Orchester und Zuspiel (1979, mit einer Textpassage aus „Utopia”), wo Thomas Morus 1516 die elektronische Tonübertragung vorausahnte, oder das Oratorium „Medea in Korinth” mit einem Libretto von Christa und Gerhard Wolf (2002).

Auf dem Gebiet der angewandten Musik entstanden zahlreiche Kompositionen für Hörspiel und Film. Seit Mitte der 1970er Jahre beschäftigte sich Georg Katzer intensiv mit Elektroakustischer Musik, deren Instrumente er auch in Multimedia-Projekten, radiophonen Werken und Improvisationen einsetzte.
Georg Katzer starb am 7.5.2019 in Berlin.

Soweit die Informationen, wie wir sie im Lexikon oder im Internet nachlesen können (http://www.georgkatzer.de/). Aber da ist noch mehr, vor allem: dieser wunderbare Mensch!
Werfen wir einen Blick auf Katzers Wirkung auf die Geschichte der Elektroakustischen Musik (EM): die war gewaltig!

Georg Katzer komponierte insgesamt 52 Werke der Elektroakustischen Musik (siehe http://www.emdoku.de/de/artist/katzer-georg), zwischen 1978 und 2004 schuf er 12 Werke in Bourges, 8 im Akademie-Studio, je 2 in Belgrad, den Studios des Rundfunks der DDR und im TIP Berlin sowie je ein Werk in Bratislava, EMS Stockholm, Experimentalstudio des SWR Freiburg und TU Berlin; die restlichen Werke entstanden in seinem Privatstudio in Zeuthen, immer mit Blick in seinen geliebten Garten. Auf europäischen Tourneen improvisierte er auf seinem Computer u. a. mit Johannes Bauer, Wolfgang Fuchs, Paul Lytten, Radu Malfatti, Phil Minton, Ernst-Ludwig Petrowski, Phil Wachsman.

1982 begann Georg Katzer mit dem Aufbau eines Studios für Elektroakustische Musik an der Akademie der Künste der DDR. Nachdem nämlich 1970 das „Studio für künstliche Klang- und Geräuscherzeugung” im Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt der Deutschen Post in Berlin-Adlershof (Gründung 1960) geschlossen wurde, gab es in der DDR für die EM keinen einzigen professionellen Produktionsort mehr. Da Reisen in das kapitalistische Ausland durch den „Eisernen Vorhang” unterbunden waren, verblieben Arbeitsmöglichkeiten nur noch in den Bruderstaaten Polen, Tschechoslowakei und Jugoslawien. Der 40-jährige, auf Elektroakustik neugierige Katzer erhielt 1976 ein Produktionsstipendium im Radiostudio Bratislava (er strebte nach „Totalität alles Erklingenden, unter Einbeziehung von Sprache und Geräuschen“), und dort entstand sein erstes Elektroakustisches Werk: „Rondo – bevor Ariadne kommt” (1976). Eigentlich waren spektakuläre Folgen nicht abzusehen – wenn nicht dieser Preis gewesen wäre, aus Bourges (Frankreich). In Bourges musste der Preis persönlich entgegengenommen werden – erstaunlich: niemand behinderte den Vorgang; Georg erklärte später: „es war nach 1970 ein Glück für die Elektroakustik, dass man sie in der DDR erst einmal nicht so ernst genommen hat”. Katzer bekam das Visum und reiste; und was man dem einen erlaubte, konnte man anderen schlecht verwehren. Und so wurde Bourges für alle DDR-Komponisten zum „verdeckten” Anker im Ausland. Georg bekannte: „Ja, das war wirklich eine Zäsur in meinem Leben. Hätte ich diesen Preis nicht bekommen, weiß ich nicht, wie das weiter verlaufen wäre, meine Beschäftigung mit der Elektroakustik…” und beschrieb:

„… Bourges war so etwas wie eine Musikbörse. Dort kamen die Leute zusammen, haben sich ausgetauscht, es wurden Bekanntschaften geschlossen. Z.B. meine Einladungen, die ich nach diesem Preis bekam, die sind ja alle in Bourges zustande gekommen, weil man sich persönlich traf, zusammen gegessen, getrunken und gesprochen hat, und irgendwann fiel der Satz ‚warum kommst du nicht mal zu uns ins Studio und produzierst?‘, – und dann hat man gesagt ‚wenn ich eine Einladung bekomme, komme ich gerne‘, und so sind alle meine Gastproduktionen in anderen Studios entstanden. Das war der große Vorteil von Bourges”. Bei dieser Bemerkung kann man sich regelrecht mitfreuen, wenn man sich in seine umtriebige und umgängliche Natur hinein versetzt. Mit der Wende haben sich allerdings die „Börsen”-Funktionen vollkommen verändert, weil zeitgleich mit der politischen Umwälzung auch eine technische stattfand („digitale Revolution”).

Es wäre ungerecht, in diesem Kontext nur über Bourges gesprochen und das EMS Stockholm nicht erwähnt zu haben! Zu seinem Aufenthalt im EMS Stockholm kommentierte Georg:
„Für mich war es zunächst ein Buch mit 7 Siegeln, weil ich das erste Mal wirklich mit einem Computer gearbeitet habe. Das Komponieren war äußerst mühsam, zeitaufwendig, man hat Stunden auf Ergebnisse gewartet – ich habe währenddessen ein Streichquartett konzipiert, aber noch nicht fertig komponiert, … und da stand dieses Monstrum von Digital-Synthesizer: es war äußerst abschreckend, zumal ich mit diesem Ungetüm zunächst nicht umgehen konnte. Ich bin ja wirklich nur durch die Methode ‚Trial and Error‘ in diese Maschine reingekommen. … Wenn ich morgens ins Studio kam, lagen im Korridor die Ausdrucke des Computers für die Programmierer mit den Zeichenkolumnen, Kilometer lang; und dann krochen die Programmierer über diese riesen Papierfahnen, um in den Bit-Kolonnen irgendwelche Fehler zu suchen. Ich muss sagen: ich habe einen ungeheuren Respekt bekommen, aber auch ein bisschen Angst ”… . Und er begründet die Angst damit, dass sich die Pioniere zu tief in die Technik zu versenken pflegten und sich von ihr geradezu auffressen ließen – auf Kosten der eigenen Kreativität.

Die intensive Verbindung mit dem Ausland in Ost und West wirkte sich aus! Ohne sie wäre es wahrscheinlich nicht zur Gründung des Akademie-Studios gekommen (erste Produktionen gab es 1980, die offizielle Gründung – immerhin in Anwesenheit des stellvertretenden Kulturministers der DDR – fand 1986 statt). Mit Katzers, man muss schon sagen „forschem” Vorgehen wird auch verständlich, dass er 1987 unbehelligt die „Deutsche Sektion der CIME” gründen durfte: die CIME (Confédération Internationale de Musique Electroacoustique) hatte natürlich ihren Sitz: in Bourges, sie hatte sogar ein UNESCO-Mandat, was für die DDR damals politisch sehr interessant gewesen sein dürfte. Und es ist schon toll: in dem luxuriös ausgestatten Westdeutschland gab es weder einen vergleichbaren Verein noch eine Anbindung an eine internationale Gesellschaft! Wie schön, dass sich 1991 die „Deutsche Sektion der CIME” (DDR) in der DeCIME (BRD) fortsetzte! Es mögen Zufälle und gewisse Stimmungen vor der Wende eine Rolle gespielt haben, aber man erkennt in dieser einzigartigen Entwicklung die überdeutliche Spur einer einzigen Person, die all das geschaffen und verantwortet hat: Georg Katzer.

An dieser Stelle muss ich innehalten und etwas irritiert fragen: welche zwielichtige Auswirkung hatte für Georg Katzer die Wende? Kaum dass er sein fantastisches Konstrukt aus AdK-Studio und DDR-CIME in klug-pfiffig-forscher – aber auch bescheidener – Diplomatie in den wenigen Jahren vor der Wende geschaffen hatte, ging dies alles wieder verloren: das AdK-Studio, als es die Luisenstraße verließ, blieb nicht „sein” Studio mit den Attributen seiner persönlichen Haltung; und die heutige Degem (Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik als Nachfolger der DDR-CIME und DeCIME; Georg Katzer wurde 2009 Ehrenmitglied der Degem!), sie ist nicht Katzers CIME, weil z.B. die so von ihm geschätzte Verbindung zu Bourges versiegte.

In einem Gespräch mit Georg Katzer stießen wir auf die Virulenz zwischen Wissenschaft und Kunst. Es wird heute klar, dass viele Studios damals weder einen wissenschaftlichen noch einen pädagogischen Auftrag hatten, aber doch die pädagogische Verantwortung suchten, etwa über Workshops, Gesprächs-Konzerte etc., so auch geschehen Ende der 70er Jahre in der Akademie der Künste der DDR, als Katzer nämlich begann, Kurse für elektroakustische Komposition zu organisieren (es folgten noch sein „Jour fix” im Studio und die legendäre „Kontakte”-Reihe). Über die Funktion seiner Meisterklasse an der „Ost-Akademie” sagte er:

„Das besondere an der Ausbildung in diesen Meisterklassen war, dass es Quereinsteigern eine berufliche Ausbildung ermöglichte. Die Meisterklasse hatte eine alte preußische Tradition, die von der Akademie der DDR übernommen worden ist; aber leider hat die vereinigte Akademie sie nicht weitergeführt. … Die Meisterkurse hatten darüber hinaus den Sinn, junge Komponisten für eine Weile finanziell unabhängig zu machen, um ihnen Kreativität zu erlauben. Ich denke, ein Komponist kann eigentlich nur arbeiten, wenn er existentiell gesichert ist. Wenn er sich Sorgen und Nöte um seine Existenz macht, muss das notwendigerweise seine Kreativität behindern.”

Danke! Solch schöne Gedanken gilt es zu bewahren.

Folkmar Hein, 11.5.2019