[ 18. Juli 2021 ]

DEGEM News – NEWS – zwei neue online / hybride Stücke: ‚Kontakt (simultan)‘ und ‚in|fibrillae‘ [Hanns Holger Rutz]

Von: Hanns Holger Rutz
Datum: Sat, 17 Jul 2021
Betreff: zwei neue online / hybride Stücke: ‚Kontakt (simultan)‘ und ‚in|fibrillae‘

Werte Kolleg*innen,

ich möchte dazu einladen, zwei neue Arbeiten zu erkunden, die für
Webbrowser konzipiert wurden.

‚Kontakt (simultan)‘ ist ein Stück über einen experimentellen Prozess
des Wartens, der im Inneren des Ateliers Reagenz, Graz (AT) stattfindet.
Hier wird eine Glasscheibe mit gesammelten Flechtenfragmenten viermal
täglich automatisch bewässert und fotografiert, wodurch vielleicht ein
extrem langsamer Wachstumsvorgang aufrechterhalten wird, welcher sich
als Zeitreihe der Fotografien offenbart. Dieser Vorgang kann in den
sozialen Medien auf dem Konto https://botsin.space/@kontakt verfolgt
werden, wo sich die täglichen Rhythmen und vielleicht langfristige
Entwicklung zeigen. Die Fotografien sind durch Textzeilen erweitert, die
von Leuten auf Basis eines laufenden Open Calls beigesteuert werden und
die sich mit Warten und Kontaktherstellen beschäftigen. Hiermit ergeht
auch **die freundliche Einladung**, diesen Call zu lesen und daran
teilzunehmen: https://www.researchcatalogue.net/view/1154218/1294325

‚in|fibrillae‘, das in der vergangenen Woche bei der xCoAx Premiere
hatte, ist ein Klanggedicht, das gemeinsam mit Nayarí Castillo
entstanden ist. Es kann unter https://www.sciss.de/exp/infibrillae/
aufgerufen werden. Das Stück ist eine Rekonfiguration einer
audio-visuellen Installation in einen online Browser-Raum. Es basiert
lose auf der früheren Arbeit in|filtration, die in hunderte und tausende
kleine Fasern zerlegt wurde, um die ursprüngliche Materialität für einen
persönlichen Raum zu transponieren. in|fibrillae handelt von Austausch
zwischen ansonsten unverbun­denen und „unkommunikativen“ Segmenten und
von Formen von Räumlichkeit: der Unterscheidung zwischen einem
gemeinsamen Raum und einem individuellen (oder inneren) Raum. Das
Gemeinsame ist ein Repertoire an topologischen Formen für
Klangstruk­turen. Er wird durch genetisch programmierte synthetische
Klänge individualisiert, wodurch sich die unterschiedlichen Korpora der
virtuellen Teilräume ergeben. Die reine Klangebene wird durch eine
Schicht aus animierten digitalen Bild- und Textfragmenten ergänzt. Die
Bilder basieren auf Wachspapierabdrücken, die von abgeschnittenen
Baumästen in Caracas stammen, wobei die Ausbuchtungen, die die Bäume um
den Schnitt herum nachwachsen lassen, eine sichtbare Grenzfläche bilden.
Jedem Unterraum ist ein Gedicht zugeordnet, eine Gruppe von
zusammengehörigen Wörtern. Sie erscheinen in Permutationen innerhalb der
Zeichnungen. Unseres Wissens nach ist in|fibrillae die erste Arbeit, die
scsynth.wasm verwendet und die Klangsynthese mittels SuperCollider und
WebAssembly im Browser vollführt. Benötigt wird eine aktuelle Version
von Firefox oder Chrome/Chromium (Desktop).

Es ist vorgesehen, beide Stücke über einen langen Zeitraum laufen zu
lassen, und gegenwärtig gibt es dazu auch physische Installation an der
Fassade unseres Kunstraumes Reagenz. Hier erlaubt ‚Kontakt (simultan)‘
den stereoskopischen Vergleich des jüngsten Fotos und eines ein Monat
alten Fotos. ‚in|fibrillae‘ ist auf einem quadratischen Monitor
sichtbar, und der Klang wird durch zwei Transducer auf die
Fensterscheiben übertragen.

Mit bestem Gruß,

Hanns Holger Rutz