Von: Harald Muenz
Datum: Sat, 22 Sep 2018
Betreff: DEGEM News – RADIO – WDR 3 Open Sounds
Harald Muenz
„Oiseaux d’artifice — une nature morte“ (2018, WP)
Dauer/duration: 27’10“
Autorenproduktion/Author’s production für/for WDR 3 (Redaktion/curator: Markus Heuger)
Ursendung/Broadcasting premiere: Samstag/Saturday 22. September 2018, 22:04 UTC+2, WDR 3 Open Sounds
Live-Stream WDR3: http://www.wdr.de/wdrlive/media/wdr3.m3u
(English notes below)
Während sich Künstler oft mühen, in ihren Werken möglichst viele Schrunden zu glätten, um Artefakten den Anstrich des „Natürlichen“, „Organischen“ zu verleihen, sind „natürlich“ und „künstlich“ für mich nur scheinbare Gegensätze. Alles ist natürlich künstlich, zumal Menschengemachtes oder -vermitteltes letztendlich nie ursprünglich, naturwüchsig, sondern mehr oder weniger bearbeitet und damit natürlich zu unterschiedlichen Graden artifiziell ist. Wo uns die Geläufigkeit der überfeinerten Version bereits zur zweiten Natur geworden ist, wirkt künstlich Gemachtes gar natürlicher als sein Natur-Vorbild. Zum Vorschein kommt dies etwa in individuellen Überzeugungen davon was „gute Kunst“ sei.
Die Vogel-Klänge in Oiseaux d’artifice sind die Sache an sich, kein Verweis auf etwas „jenseits“ ihrer selbst. Tatsächlich handelt sich’s also mehr um Malerei als um Ausdruck von Empfindungen. Der weit überwiegende Teil der zu hörenden „Vögel“ sind keine Natur-Aufnahmen lebendigen Federviehs, sondern mit ca. 90 unterschiedlichen mechanischen Vogelstimmen „künstlich“ erzeugte. Die scheinbaren „Musikinstrumente“, welche unter anderem Zitate aus Athanasius Kirchners Musurgia Universalis wiedergeben, wurden ebenso wenig live gespielt wie die Vogelstellen-Zitate aus großer Musik der Vergangenheit. Eine Auswahl schöner Vogel-Volkslieder wurde zuerst nach tonsetzerischen Standards sorgfältig eingerichtet und anschließend mit phonetischer Spezialsoftware manipuliert, obwohl es sich um eine reine Soundscape handelt, in der gar keine Sprachklänge auftauchen. Dasselbe Kunst-Schicksal ereilte eine zeitlich um ein Vielfaches gedehnte Gartenrotschwanzaufnahme. Als Emblem und Menetekel zugleich betritt die künstliche Nachtigall, die Maurice Ravel — der virtuose Connaisseur raffiniertester Künstlichkeit — in seiner Villa in Montfort L’Amaury aufgestellt hatte, die Szenerie.
Um vorgefundene kommunikative oder emotionale Muster zu reduzieren, habe ich mich bemüht, alle Klangquellen möglichst instrumental einzusetzen. Zusätzlich werden technische Eingriffe mitunter bewußt inszeniert und herausgestellt, z.B. ostentatives Panning oder mutwillige Lautstärkeeinbrüche beim Eintritt neuer Takes, die an den Ducking-Effekt alter Kassettenrekorder mit automatischer Aussteuerfunktion erinnern. Die Hand im Bild bleibt mal deutlich sichtbar, mal wird sie bewußt verschleiert – „fake news“ lassen grüßen. (hm 2018)
Most of the bird sounds to be heard are not nature photographs of live poultry, but were artificially created using about 90 different mechanical instruments. Neither these „musical instruments“, which present excerpts from Athanasius Kirchner’s „Musurgia Universalis“ among other things, were played live, nor were the quoted „bird spots“ from great musical works of the past. On top, a selection of bird folk tunes was first carefully „set to music“ according to „theory-harmony-standards“ — and subsequently destroyed by special phonetic software (although Oiseaux d’artifices is a pure soundscape in which no speech sounds appear at all). And in the midst of a stretched redstart recording suddenly the mechanical nightingale appears, which Maurice Ravel – the virtuoso connoisseur of refined artificiality – kept in his villa in Montfort L’Amaury. Thus many acoustic illusions are created, trompe-oreilles which are only occasionally disturbed by technical interventions or volume changes. Random snapshots? Of course not.