Von: Michael Harenberg
Datum: 3. Juli 2012 11:48:55 MESZ
Betreff: Illiac Suite Relaoded
Illiac Suite Relaoded
Wie die Wochenzeitschrift „der FREITAG“ in Übersetzung eines Artikels
des englischen GUARDIAN meldet, gibt es offenbar wieder einmal einen
Versuch mit Partitursynthese zu arbeiten. Wie dem Artikel unscharf zu
entnehmen ist, wurde wohl ähnlich wie schon bei Hiller und Isaacson
mit generischen Algorithmen komponiert. Und wie damals hat der
Computer, der hier doch recht modern als „der Ker, der genau weiss was
er willl“ in Erscheinung tritt, mal wieder eigenständig Meisterwerke
komponiert, auf die kein Mensch Einfluss genommen hat! Es sind diese
Erzählungen, die anscheinend in ihrer metaphorischen Umkehrung so
stark sind, dass man sie immer mal wieder aktualisieren kann. Alan
Turing, zu dessen Ehren das Projekt zur Aufführung kommt, hätte
wahrscheinlich wenig Spass daran gehabt. Seinen Turing Test auf
„Mensch versus Maschine“ zu reduzieren, hat mit der Frage nach den
Grenzen der Formalisierbarkeit nur noch wenig zu tun. Dafür werden die
Arbeiten von Xenakis zur algorithmischen Komposition mit einem
Algorithmus für schwedische Kinderlieder gleichgesetzt. Hauptsache der
Computer komponiert und tritt uns, wenn auch als „Kerl“ so doch
immerhin als eigenständiges künstlerisches Subjekt gegenüber, auf
dessen selbsttätige Maschinenhaftigkeit wir unser ästhetisches
Begehren projezieren wenn auch niemals spiegeln können. Dass
ausgerechnet Bartók, Ligeti und Penderecki als Vorlage für eine
musikalische Moderne herhalten müssen, ist dann nur noch eine
zusätzliche Skurillität am Rande, die musikalische Eignung und das
Mass ihrer Wertigkeit ist im Zweifelsfall sowieso immer noch Bach.
Immerhin wird den Stücken des Computers attestiert, dass sie
musikalischer sind, als die einiger „Avantgarde-Komponisten, die in
ihrer eigenen Logik schwelgten, aber praktisch unspielbar seien“. Sehr
schön auch die anschliessende Diskussion der Community. Im Gegensatz
zu zeitgenössischen Werken in den Bereichen Fine Arts, Theater,
Literatur, Performance, etc. kann man mal wieder das
Vermittlungsproblem zeitgenössischer Musik beobachten, deren
Entwicklungen spätestens nach dem 2. Weltkrieg in der Mitte der
bürgerlichen Gesellschaft kaum noch wahrgenommen und reflektiert
wurden, was man an den Reaktionen gut sehen kann. Dazu passt, dass die
„Werke“ statt als endlos Stream im Netz von einem renommierten
Orchester gespielt auf CD erscheinen. Es gibt sie also doch noch, die
so oft totgesagte bürgerliche Musikkultur. Nur wird sie jetzt von
Bartók Algorithmen beliefert, was ja auch eine schöne Form der
Traditionspflege ist.
Michael Harenberg
http://www.freitag.de/autoren/the-guardian/bartok-am-laufenden-meter