[ 9. Juni 2012 ]

POLITIK – 19000 Unterschriften gegen WDR-3-Reform, Programmgruppe Musik zerschlagen?

Von: „Die Radioretter“ – kontakt@die-radioretter.de
Datum: 9. Juni 2012 00:45:53 MESZ
Betreff: DEM RADIO IHRE STIMME GEBEN – Informationsbrief vom 5. Juni
2012

Sehr geehrte Unterzeichnerinnen und Unterzeichner unseres „Offenen
Briefs“,

wie Sie wahrscheinlich schon wissen, hat der Rundfunkrat des WDR am
30. Mai für die von der WDR-Geschäftsleitung vorgelegten „Reformpläne“
gestimmt. Bei nur drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen haben sich
Intendanz und Hörfunkdirektion mit ihrem an
Unternehmensberatergrundsätzen orientierten Kurs durchgesetzt: Das
Kulturprogramm von WDR 3 wird ohne Rücksicht auf Verluste weiter
abgebaut. Die vielfach begründete Empfehlung, zunächst Raum zu geben
für eine gründliche Debatte über ein künftiges Kulturradio, um erst
danach über mögliche Veränderungen auf WDR 3 zu beschließen, wurde
ignoriert; das von Redakteuren, „Radiorettern“ und Kulturschaffenden
gewünschte Moratorium von der Mehrheit der Gremienmitglieder nicht
einmal erwogen.

So verschwindet das Politische tagsüber aus WDR 3 und schrumpft –
sieht man von den Nachrichten ab – auf eine Viertelstunde pro Tag. Das
Feuilleton „Resonanzen“ soll in Wiederholungen ersticken,
anspruchsvolles Feature wird weiter gestrichen und die Programmgruppe
„Musik“ zerschlagen. Die Inhalte und Formen, die Kraft und die
Aufgaben eines Kulturradios werden Schritt für Schritt auf die
schiere Abbildung von Ereignissen reduziert, die Kompetenz und die
Entscheidungsmöglichkeiten von Fach- und verantwortlichen Redakteuren
werden noch stärker eingeschränkt. Und die Musik in diesem von Musik
geprägten Programm wird deutlich geschwächt.

Vor all dem haben wir in den vergangenen Monaten gewarnt. Wir haben
zudem große Anstrengungen unternommen, anderen Entwicklungen Raum zu
verschaffen. Wir haben sorgfältig argumentiert und die Reform-Floskeln
detailliert in die bevorstehende Wirklichkeit übersetzt. Wir haben
Hunderte von Fragen gestellt, wir haben Alternativen entwickelt und zu
Diskussionen geladen. Und wir haben große öffentliche Zustimmung
erfahren. Das alles war – bezogen auf die konkreten Abbaupläne für WDR
3 – vergeblich.

Für uns, die „Radioretter“, ist dies Anlass, eine Zwischenbilanz zu
ziehen. Gewiss: wir haben Fehler gemacht. Wir wollten nicht daran
glauben, dass WDR-Leitung und Rundfunkrat ihre Politik gegen den
massiven Protest einer breiten Öffentlichkeit würden durchsetzen
wollen. Stillschweigend vertrauten wir darauf, dass begründete
Einwände und gute Argumente eine offene Diskussion und Veränderungen
nach sich ziehen würden. Wir hielten es nicht für möglich, dass die
Mehrheit der Gremienmitglieder kein Interesse daran haben könnte, sich
in die Materie einzuarbeiten und sich genügend fundiertes Wissen über
Programmabläufe und Inhalte anzueignen, um die Behauptungen der WDR-
Geschäftsleitung und ihre rhetorischen Taschenspielertricks aus
eigener Kraft überprüfen und entlarven zu können. Ebenfalls hielten
wir es nicht für möglich, dass sich Gremien wie der Rundfunkrat, die
eine gesellschaftliche Kontrolle ausüben sollen, ihrer Verantwortung
derart willfährig entziehen würden. In gewisser Hinsicht waren wir
also naiv.

Ihre qualifizierten Unterschriften unter unseren Offenen Brief wurden
als Internet-Klicks, die Forderungen nach einem anspruchsvollen
Kulturradio als elitär oder gestrig, die vielfältigen Plädoyers für
ein Moratorium als unerlaubte Einmischung denunziert. Statt
öffentliche Auseinandersetzungen um die Zukunft und die Rolle des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu führen, wurde hinter
verschlossenen Türen nach Marketingformulierungen gesucht, mit denen
den Hörerinnen und Hörern der Programmabbau als Programmverbesserung
verkauft werden sollte.

Der Konflikt um den WDR hat Strukturen offengelegt, die den
gesellschaftlichen Zustand im Ganzen spiegeln. Die Apparate entziehen
sich sprunghaft jeder öffentlichen Kontrolle. Und folgen einer in sich
kreisenden Logik angeblich alternativloser Sachzwänge. Begründeter
Kritik, Protesten und abweichenden Überlegungen gegenüber zeigen sie
sich immun. Sie weichen der Debatte aus oder machen sie auf
administrativem Weg zunichte.

Dies veranlasst die „Radioretter“ aber nicht, ihre Arbeit
einzustellen. Im Gegenteil. Unser Kampf gegen den Ausverkauf des
öffentlich-rechtlichen Programmauftrages und eines unabhängigen
Journalismus ist nötiger denn je. Wir werden die Dinge im WDR
aufmerksam verfolgen, wir werden wie bisher in geeigneter Form
intervenieren, wir werden Verflachungen und Demokratiedefizite beim
Namen nennen und ihnen mit Alternativen begegnen. Und wir
beabsichtigen, sie als Teil einer Entwicklung zu behandeln, von der
die ARD insgesamt betroffen ist.

Unter anderem beabsichtigen wir, in regelmäßiger Folge eine
Rundschrift herauszugeben, die den medien- und kulturpolitischen Kurs
des WDR und anderer ARD-Anstalten einer eingehenden Analyse und der
Kritik unterzieht. Wir werden zu Konferenzen einladen, um rundfunk-
und programmpolitische Alternativen zu entwickeln und öffentlich zu
machen. Nicht zuletzt werden wir kritische Redakteure und Autoren in
ihrem Widerstand gegen Entwicklungen unterstützen, die dem öffentlich-
rechtlichen Rundfunk zusehends die Legitimationsgrundlage entziehen.

Um diese erweiterte Arbeit finanzieren zu können, werden wir uns
organisatorisch eine neue Form geben und in Kürze den Verein „Die
Radioretter“ gründen. Diesem Verein beizutreten laden wir Sie ein –
nähere Informationen folgen.

Der Konflikt um WDR 3 war bloße Momentaufnahme eines Prozesses, der
andauert. Er verlangt nach gesellschaftlichem Widerstand. Deshalb
hoffen wir auch auf Ihre aktive Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen
Initiative für Kultur im Rundfunk – „Die Radioretter“

P.S.: Auf unserer Homepage http://www.die-radioretter.de finden Sie nicht nur
alle Informationen und Texte zur bisherigen Arbeit der „Initiative für
Kultur im Rundfunk“ – unter dem Menüpunkt „Radioretter-Blog“ können
Sie außerdem unseren RSS-Feed abonnieren, um sofort benachrichtigt zu
werden, wenn die Homepage ergänzt oder aktualisiert wird.

Zur Kenntnis:

Presse-Erklärung der „Radioretter“ zur Entscheidung des Rundfunkrats
vom 30.5.2012

Ohne Rücksicht auf Verluste
Der Programmabbau bei WDR 3 wird fortgesetzt

Der Rundfunkrat des WDR hat gestern, am 30. Mai, beschlossen, dem
weiteren Programmabbau im Kulturprogramm von WDR 3 in allen
entscheidenden Punkten zuzustimmen. Er entschied sich damit gegen das
Plädoyer der WDR 3-Radiomacher und Autoren, gegen das Votum von
annähernd 19.000 Hörern, gegen tausende Kulturschaffende, gegen die
Stimmen von ver.di, der Redakteursvertretung, des Feuilletons.

Wir verweisen auf unsere Stellungnahme zu den Empfehlungen des
Programmausschusses vom 25. Mai, denen der Rundfunkrat ohne
Einschränkung folgte. Dieser Stellungnahme (1) ist nichts
hinzuzufügen. Sie gibt einen genauen Überblick über die Verödungen des
Programms, die nun bevorstehen.

Haben die „Radioretter“, hat die öffentliche Opposition mit dieser
Entscheidung des Rundfunkrats eine Niederlage erlitten? Zweifellos,
wenn man sein Urteil von den Beschlüssen eines solchen Gremiums
abhängig macht. Wie verlogen sie sind, stellen die Erklärungen unter
Beweis, mit denen man sie jetzt öffentlich „verkaufen“ will. Kein Wort
enthalten sie über tatsächliche Streichungen, Kürzungen und
Einebnungen. Stattdessen brüsten sie sich mit „Neuerungen“, die
entweder keine sind oder aber nicht annähernd ersetzen, was zuvor
zerstört wurde. Dies kann jeder nachvollziehen, der sich den Tatsachen
stellt. Rundfunkrat und Hörfunkleitung betreiben in ihren Erklärungen
eine kalkulierte Desinformation, die an bewusste Lüge grenzt.

Unsere Empathie gilt den Redakteuren des WDR, die künftig unter
zusehends prekären Bedingungen werden arbeiten müssen. Wir denken an
die vielen Autoren des Senders, die unter den weiteren Streichungen
existentiell leiden werden. Nicht zuletzt erinnern wir die Hörer, die
im WDR zusehends vermissen werden, was sie zu Recht von einem
„Kulturradio“ erwarten. Künftig werden sie sich sprunghaft um Themen,
Fragestellungen und Horizonte betrogen sehen, die eine
leidenschaftliche Kulturpublizistik in vielfältigen und offenen Formen
freizulegen hätte – als Reportage, Gespräch, als freie Reflexion oder
im riskanten Hörfunk-Expe­riment der Literaturen und Klangräume.

Den weiteren Niedergang dieses „Kulturradios“ konnten wir im
exemplarischen Fall von WDR 3 nicht aufhalten. Umso deutlicher hat der
Konflikt diesen Niedergang öffentlich dokumentiert und die latente
Krise der ARD sichtbarer gemacht. Ebenso manifest wurde aber auch der
Widerstand, der sich innerhalb wie außerhalb ihrer Sender gegen diesen
Zerfall artikuliert hat und weiter artikulieren wird. Dies allerdings,
nicht ein willfähriger Gremienbeschluss, ist von wirklicher Bedeutung.
An diesen Widerstand nämlich wird anzuknüpfen sein – innerhalb wie
außerhalb des WDR.

Der Rundfunkrat bat in seiner Entscheidung um eine „Evaluierung“
seiner neuesten Beschlüsse. Wir versichern, dass wir mit dieser
„Evaluierung“ nicht erst in unabsehbarer Zeit beginnen werden, sondern
von heute an.

Initiative für Kultur im Radio – „Die Radioretter“
31. Mai 2012

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(1)
http://www.die-radioretter.de/cms/upload/Stellungnahme_PA_25.5.2012.pdf

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