[ 6. Juli 2020 ]

DEGEM News – NEWS – [Neuemusik]Gazette Neue Musik in NRW – Ausgabe Juli 2020

Von: neuemusik@kulturserver-nrw.de
Datum: Mon, 29 Jun 2020
Betreff: [Neuemusik]Gazette Neue Musik in NRW – Ausgabe Juli 2020

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Juli 2020

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Gewesen:Notabu-Ensemble in der Düsseldorfer Tonhalle – Musikfabrik im PACT Zollverein Essen – Auftaktveranstaltung Klangräume Düsseldorf
Angekündigt:
Orgel-Mixturen, Concertini der Musikfabrik, Chamber Remix, Ensemble hand werk und Centre Court Festival in Köln – Wandelweisersommer in Düsseldorf u.a.
 

Langsam kehrt das kulturelle Leben zurück und so hat es im Juni – noch schnell vor der Sommerpause – erste Live-Konzerte gegeben. In derDüsseldorferTonhalledurfte das Notabu-Ensembleden großen Saal bespielen, in dem sich die etwas mehr als 100 Zuhörer großzügig verteilten. Der große Kuppelraum mit seiner Sternenhimmelbeleuchtung erwies sich als idealer Ort; er bietet viel Platz für Mensch und Musik, ohne dass man sich allzu verloren vorkommt. Als Nachhall der Coronaeinsamkeit standen zunächst drei Solowerke auf dem Programm. Zum Auftakt entfachte Salome Amend mitAlexej GerassimezAsventurasnur mit einer Snare Drum bewaffnet ein rhythmisches Feuerwerk und schickte wahre Gewehrsalven durch den Raum. Mit Brittens Drei Stücke aus „Metamorphosen nach Ovid“für Oboe solo und MessiaensAppel interstellaire aus „Des Canyons aux ètoiles“für Horn solo folgten zwei Klassiker, bevor sich mit LigetisKammerkonzert für 13 Instrumentalistendie Bühne füllte und das Publikum in Klängen baden konnte.

DieMusikfabrikspielte ihr erstes Konzert nach dreimonatiger Pause inEssenim PACT Zollvereinund präsentierte eine unter die Haut gehende Wiederbegegnung mit alten Bekannten. Mikel UrquizasAlfabetfür Sopran, Trompete, Klarinette und Schlagzeug wurde 2019 bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik aus der Taufe gehoben und ist auch auf der dazugehörigen CDdes WDR vertreten. Ohne Corona-Lockdown wäre die Musikfabrik damit im Pariser Centre Pompidou zu Gast gewesen, jetzt erklang das Werk in Essen vor handverlesenem Publikum, da aufgrund der reduzierten Platzzahl nicht allen Interessenten Einlass gewährt werden konnte. Das Stück basiert auf der gleichnamigen Gedichtsammlung von Inger Christensen und lässt die Sopranistin in einen ausgefeilten Dialog mit den Instrumenten treten, wobei sie mit einem umfassenden Lautrepertoire, voller Zirzen und Zirpen, Hauchen und Heulen, eine von Satz zu Satz zunehmende Textmenge zu bewältigen hat und dabei in einen wahren Strudel gerät. Steffen KrebbersAmphiferenceerlebte seine Uraufführung bei dem kleinen Festival Kontakte, das die Musikfabrik Ende Januar/Anfang Februar 2020 in ihrem Domizil im Mediapark veranstaltete. Dabei stehen sich ein Drumset und ein Minimoog, ein analoger, einstimmiger Synthesizer, gegenüber, die sich gegenseitig elektronisch filtern, „gleichzeitig klingend und resonierend“. Aus einer diffusen Rausch- und Geräuschkulisse, von der man zunächst nicht weiß, wo sie hin will, entstehen sich verdichtende, rockig aufgeladene, hochenergetische Klangwelten, die Musiker und Publikum wahrhaft abheben lassen. Beide Stücke machten deutlich, wie sehr Kultur im Allgemeinen und Musik im Besonderen von Austausch und Kontakt leben und so durfte auch Stockhausensgleichnamiges Werk Kontaktefür Klavier, Schlagzeug und Tonband nicht fehlen, das ebenfalls Anfang des Jahres bei oben genanntem Festival erklang. Unter der kundigen Klangregie der Stockhausenvertrauten Kathinka Pasveer waberten und rasten zu Dirk Rothbrusts und Benjamin Koblers virtuosen Schlagzeug- und Klavieraktionen Elektroniksalven und -schwaden durch den Raum.

Das kleine Sommerfestival Klangräume Düsseldorf, das in diesem Jahr bereits zum 7. Mal vom Klangraum 61veranstaltet wird, hat sicherheitshalber seine Termine in den Herbst und sogar bis ins Jahr 2021 verschoben. Als Auftakt sollte am 27.6. ein Online-Konzert stattfinden, aber dann hatte die Heilige Corona – laut WikipediaPatronin des Geldes(!), der Fleischer(!!) und Schatzgräber – ein Einsehen und im Palais Wittgenstein waren nicht nur Kameras sondern auch leibhaftige Zuhörer zugegen. Das Porträtkonzert mit Oliver Schneller, der als Nachfolger von Manfred Trojahn die Professur für Kompositionan der Robert Schumann-Hochschule übernommen hat, fiel zwar coronabedingten Logistikproblemen zum Opfer, aber dafür erklang dererste Teileiner dreiteiligen Hölderlinreihe. Hölderlin wäre, wenn er in seinem Turm noch ein bisschen durchgehalten hätte, in diesem Jahr 250 Jahre alt geworden. Im Rahmen der öffentlichen Jubiläumsanstrengungen steht er zwar im Schatten seines Altersgenossen Beethoven (dem sich die Klangräume am 12.9. widmen werden), aber für Komponisten und Komponistinnen der neuen Musik war Hölderlin stets eine zentrale Figur; so zum Beispiel für Wolfgang Rihm, dessen Hölderlin-FragmenteMartin Wistinghausen(begleitet von Theodor Pauß) angemessen expressiv und explosiv interpretierte. Im Vergleich dazu gestaltet Martin Tchiba in seinem aus der Taufe gehobenen Werk Hälfte des Lebensdie Gesangslinie schlichter bis hin zum Sprechgesang, lässt es eher subkutan und im Klavierpart brodeln. Miro Dobrowolnyarbeitet derzeit an einem mehrteiligen Hölderlinzyklus, in dem er sich (wie bereits Heinz Holliger) mit den unter dem Pseudonym Scardanelli entstandenen späten Gedichten befasst. Zusammengehalten von einem schlichten Reimschema entstehen kryptische Bilder, von denen man nie weiß, ob sie besonders tiefsinnig sind oder den psychischen Verfall des Autors spiegeln („oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen“). Diese Doppelbödigkeit bringtAussicht 1mit einem intensiven Dialog zwischen der Sopranistin Irene Kurkaund dem Akkordeonisten Marko Kasslzum Ausdruck, sie wird in Aussicht 2durch das Hinzukommen von Bass (Wistinghausen) und Cello (Othello Liesmann) weiter aufgefächert und findet mit einem Cello-Akkordeon-Duo den Abschluss. Kurkas klare, unprätentiöse Stimme hält das bei Hölderlin stets drohende Pathos auf wunderbare Weise im Zaum, was sich auch in Younghi Pagh-PaansMoirafür Sopran und Akkordeon bewährt.
Denzweiten Teildes Abends bestritt der Pianist und Komponist
Martin Tchibamit einem Best-of aus seinen Netzwerkprojekten Wireless,Netzwellenund Fringeplay.Diese zeichnen sich durch einen exzessiven und fantasievollen Einsatz der sozialen Medien aus, Komponisten können via Facebook oder Twitter eigene Stücke einreichen, die teilweise auf eine von Tchiba vorgegebene Klavierminiatur oder direkt aufeinander reagieren, das Publikum kann unmittelbar Einfluss nehmen und so weiter und so fort. Als Klavierrezital im Konzertsaal merkt man von alldem allerdings erstaunlich wenig, sondern wundert sich über die eher konventionelle Klangsprache. Für einen facebookskeptischen Ohrenmenschen wie mich ist das nicht das Schlechteste.

Leider geht die Coronazwangspause fast nahtlos ins Sommerloch über, so dass auch im Juli die Veranstaltungsdichte gering ist. Immerhin erwartet uns in der KölnerKunststation Sankt Peter– neben den monatlichen Orgelimprovisationen am 5.7. – vom 27. bis 31.7. das Festival Orgel-Mixturen. Composer in Residence sind Oxana Omelchukund Simon Rummel(UA am 31.7.) und die Organistin Angela Metzger präsentiert neben ihrem Konzertprogramm am 27.7. mit Werken u.a. von Mark Andre eine neue CD mit dem Orgelzyklus Raumgestaltenvon Dominik Susteck. Die Musikfabriksetzt am 2., 3., 6., 9. und 13.7. ihre Concertinireihe fort. Die Konzertreihe Chamber Remixgeht am 5.7. wieder an den Start und hat das Trio Bernd Konrad, Theo Jörgensmann, Albrecht Maurer sowie Matthias Mainz als Live-Elektroniker zu Gast. Die Reihe soundings der Kunsthochschule für Medienbleibt einstweilen im Streamingmodus und präsentiert in der 24. Ausgabe am 9.7.Florian Dombois, der sich mit Wind und Klangdrachen beschäftigt. Das Ensemble hand werkist mit seiner Konzertreihe in der Alten Feuerwacheam 19.7 hoffentlich live zu erleben und hat mit Feldman und Webern in einer Konzertinstallation von Paulette Penje„radikale Minimalisten“ im Gepäck und im Innenhof der Lutherkirche findet vom 29.7. bis 1.8. das Centre Court Festivalfür klangbasierte Künste statt, das im Rahmen der 37. Soirée Soniqueeröffnet wird. Mit dabei sind u.a. das Trio Mainz / Dargent / Eraslan mit neuen Triokompositionen sowie das 1. deutsche Stromorchester.

DieBielefeldercooperativa neue musikfragt in ihrem Jour fixe am 6.7.: Wie klingt der Lock-Down?

Als besonderes Sommerhighlight finden vom 14. bis 19.7.und vom 28.7. bis 2.8.in Düsseldorfzwei Wandelweiserklangraumwochen statt ergänzt durch ein von André Möller kuratiertes Programm vom 21. bis 26.7. Neben vielen anderen erwarten uns neue Projekte von Christoph Kornund Irene Kurkasowie Antoine Beugerund Joep Dorren.

Eigentlich sollte 2020 die erste Ausgabe der MonheimTriennalean den Start gehen. Diese wird zwar auf Juli 2021 verschoben, doch am 1.7.20 gibt einen kleinen Vorboten: Marcus Schmicklerrealisiert unter dem MottoCould You Patent the Sun?eine Klanginszenierung am Rhein und bekommt dabei Unterstützung von den Blechbläsern des Ensemble Musikfabrik.

Weiterhin gilt: Es ist einiges in Bewegung und gut möglich, dass kurzfristig weitere Veranstaltungen hinzukommen. Daher Augen und Ohren auf und im Ernstfall rechtzeitig anmelden, die Besucherkapazitäten sind oft begrenzt.

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW

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