DEGEM Journal

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Das DEGEM Journal war von 2015-2020 ein deutschsprachiges Internetmagazin zur elektroakustischen Musik und Klangkunst, das die DEGEM News und die DEGEM Discuss um redaktionell erstellte Texte im Sinne der früheren DEGEM Mitteilungen ergänzen sollte. Das DEGEM Journal erschien hier in Form eines Blogs und bot die Möglichkeit, Beiträge zu Hard- und Software, ästhetische Diskussionen, Kongressberichte und Ähnliches zu veröffentlichen. Die Redaktion lag von 2015-2020 bei Sebastian Berweck.

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[ 24. Oktober 2017 ]

Die Csound Konferenz in Montevideo 29.09.-01.10.2017 (Joachim Heintz)

Nach den Csound Konferenzen in Hannover 2011, Boston 2013 und Sankt Petersburg 2015 fand die vierte internationale Csound Konferenz an der Escuela Universitaria de Música in Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, statt. Gastgeber war Luis Jure, der Leiter des Elektronischen Studios (eMe = estudio de música electroacústica) der Universität. Wer Luis Jure kennt, weiss, dass die Vorstellung, die wir oft von Südamerika haben, was Liebe zum Chaos angeht, bei ihm keinesfalls zutrifft. Und so war dies denn auch ohne Zweifel die durchdachteste, best vorbereitete und durchgeführte Konferenz dieser Reihe. Zum erstenmal überhaupt gab es einen verläßlichen Livestream, und auf der Website (http://csound.github.io/icsc2017/) fanden sich alle Informationen in übersichtlichster Darstellung, vom Konferenzprogramm über die Konzerte bis hin zu genauen Angaben über die Örtlichkeiten.

Es gibt kein einheitliches Konzept der Csound Konferenzen; jeder Gastgeber setzt hier eigene Schwerpunkte. Luis Jure entschied sich zum einen für eine Konferenz, die Standards wissenschaftlicher Konferenzen genügt (es gab jeweils ein gut besetztes Paper Review und Music Review Committee), zum anderen entschied er sich dafür, fünf Keynote Speakern die Gelegenheit für ausführliche Darstellungen zu geben. Victor Lazzarini legte die Entwicklungslinie von sechzig Jahren Computermusik dar und zeigte an praktischen Beispielen (darunter eine Rekompilation des Csound von 1986) die Entwicklungslinie von Max Mathews‘ MUSIC Programmen bis zum heutigen Csound. Joachim Heintz sprach in seinem Beitrag „Don Quijote, die Insel und das Goldene Zeitalter“ über Erfahrungen und Dimensionen der Arbeit mit „Open Source“ bzw. „Freier“ Software anhand der Csound Community. Oscar Pablo di Liscia exemplifizierte mit seinem Vortrag über Entwicklung und Perspektiven der ATS Synthese eine der zahllosen in Csound eingegangenen Methoden der Transformation von Klängen. Iain McCurdy, vielen bekannt als Erneuerer von Csound durch interaktive und musikalisch ausgerichtete Beispiele, sprach über die verschiedenen Phasen der Csound Entwicklung unter dem Bild eines Schweizer Taschenmessers, das immer neue Funktionalitäten bekommt. Steven Yi schließlich, einer der Hauptentwickler des modernen Csound, legte dar, warum und wie er heute Csound benutzt.

Neben diesen Keynotes, die naturgemäß einen großen Platz einnahmen, gab es eine Reihe von anderen Vorträgen, die verschiedene Themen berührten: Interaktion, Mixed Media, Visualisierung mit HTML5, Verräumlichung, um nur einige zu nennen. Eine Reihe von Beiträgen wurde als Video eingespielt, da es den Referenten nicht möglich war zu kommen. Auch das war von Luis Jure und seinem Team perfekt vorbereitet; die Beiträge selbst waren vorproduziert, aber die Referenten wurden dann für die Diskussion per Skype dazugeschaltet.

Durch die große Entfernung und die beträchtlichen Reisekosten nicht nur für Europäer, sondern auch für Nordamerikaner, war die Anzahl der Angereisten relativ gering, repräsentierte mit Teilnehmern aus Deutschland, Irland, den USA, Brasilien und Argentinien aber doch ein genügend breites Spektrum. Dazu kamen die Teilnehmer*innen vor Ort, also Komponist*innen und Student*innen aus Uruguay. Das gab eine gute Mischung, und der Vorteil einer so intimen Konferenz ist, dass tatsächlich alle die ganze Zeit zusammen sind und leichter gemeinsame Gespräche entstehen.

Zur guten Planung gehörten auch die nicht zu knapp bemessenen Kaffeepausen und die Möglichkeit, sich hier bei einem Häppchen weiter zu unterhalten. Angereichert wurden diese Pausen durch kurze Performances, die einige der zahllosen Möglichkeiten zeigten, Csound für Echtzeit-Performances zu benutzen. Das war — da die Konzerte fast nur Tonbandstücke enthielten — eine wichtige Bereicherung des musikalischen Programms.

Die Konzerte selbst fanden an verschiedenen repräsentativen Orten statt: zwei (mit Achtkanal-Anlage) im Teatro Solís, dem wichtigsten Veranstaltungszentrum der Stadt; eines im Vortragssaal der Nationalbibliothek (für Stereo-Stücke). Aus der großen Anzahl der Einsendungen wurden diese drei sehr abwechselungsreichen Konzerte gestaltet, die neben studentischen Arbeiten verschiedene bekannte Namen, darunter auch DEGEM Mitglieder, enthielten.

Als eine Art inoffizieller Auftakt zur Konferenz erklang am Abend vor Konferenzbeginn ein Konzert zum Jubiläum von 60 Jahren Computermusik (1957 begann bekanntlich alles mit Newman Guttman’s „Silver Scale“). Und nach dem letzten Konzert der Konferenz schloss sich ein bemerkenswerter Anhang an: Ein „Asado“ Grill in dem großen Atelier zweier Klangkünstler, wo die Konferenzteilnehmer nicht nur typisch uruguayisches Essen bei Bier und Wein, sondern auch eine ausgedehnte Klangperformance im Raum erwartete, eingeleitet durch den Satz: „Sie erleben nun die einzige 16-Kanal-Laustprecher-Anlage in Uruguay.“ Gemeint waren flüstertütenartige Objekte aus Pappe, in die kleine Lautsprecher und Abspieleinrichtungen eingebaut waren und die von den vier Performern an verschiedenen Stellen des Raums plaziert wurden. Das war ein wunderbarer Ausklang der Konferenz, der wiederum zeigte, mit wie viel Liebe und Zeit hier vorbereitet und gestaltet wurde.

Jede Csound Konferenz hat ihr eigenes Gesicht und ihre eigenen Effekte. Kamen 2011 in Hannover die wichtigsten Personen überhaupt zum erstenmal zusammen und ergaben sich daraus unmittelbare Folgen für die Entwicklung (Csound 6), war die Bostoner Konferenz 2013 geprägt von den großen alten Männern einerseits — Barry Vercoe, John Chowning, Jean-Claude Risset — und den Studenten und Ex-Studenten von Richard Boulanger andererseits. Die Sankt Petersburger Konferenz brachte die bis dahin fast unbekannte russische Csound Community ins allgemneine Bewusstsein und hatte einen weiterwirkenden Effekt auf sie. Ähnlich wird es nach meiner Einschätzung auch mit den Folgen der jüngsten Konferenz sein, zumindest was die Csounder in Uruguay und Argentinien angeht. Und vielleicht wird, als Folge von Diskussionen auf dieser Konferenz, von einigen aktiven Studentinnen in Montevideo auch eine Initiative ausgehen, wie sich Frauen als eigenständige Gruppe in der Community organisieren, damit hoffentlich eines Tages Csound zu einem ausgeglicheneren Verhältnis beider Geschlechter kommt.

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