Michael Hirsch war 16 Jahre alt, als er sich entschloss, an der „Arbeitsgemeinschaft Neue Musik“ des damaligen Religionslehrers, aber schon renommierten Komponisten Dieter Schnebel teilzunehmen. Er kam in Berührung mit früher Minimal Music von Terry Riley, den offenen Prozessen von Christian Wolff, mit Cage, Stockhausen, Kagel. Die AG wurde verschiedentlich von Josef Anton Riedl zu dessen Münchner Festival „Klang-Aktionen“ eingeladen. Schnebel und Riedl waren frühe Prägungen für Hirsch und dennoch blieb er als Komponist Autodidakt. Eine erste Komposition ist auf 1974/76 datiert, seit 1976 komponierte er kontinuierlich.
Von Anfang an ist seinem Komponieren eine Dialektik von Experiment und Tradition eigen. Neben klassischen Instrumentalformen wie Streichquartetten, Klaviersonaten und anderer Kammermusik gibt es Situationen wie acht Spieler an einem Kontrabass (Behandlungen, 1976) oder sieben Pianisten an einem Klavier (Zu 14 Händen, 1995), es gibt von Laut- und konkreter Poesie geprägte Sprachkompositionen und klassischen Gesang, es gibt Opern und neue Musiktheaterformen, und nie werden die Pole in einem Entweder-Oder behandelt, seine „undogmatische Offenheit gegenüber allen erdenklichen Mitteln musikalischen Ausdrucks“ führt meist zu Mischformen. Die verschiedenen „Genres“ lassen sich besser als Schichten verstehen, die zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Schichten
Sowohl innerhalb kleiner besetzter Stücke wie auch in ganzen Werkkomplexen findet sich auffallend bei Hirsch eine Simultaneität aufeinander bezogener autonomer Schichten. In Kopfecke, Wunderhöhle (1996) für 3 Sprecher, 3 Kassettenrecorder, 1 Geräuschemacher, Klavier und Holztrommeln beispielsweise sind die Stimmen voneinander unabhängig, jedoch durch ein System aus Signalen und Reaktionen miteinander vernetzt. Hirsch fand für sich die Form des „Konvoluts“, die Sammlung unterschiedlicher Notationsformen, die ihm die Koexistenz von konventionell notierten Instrumentalschichten mit Sprachkompositionen, Tonbandmusik, Verbalpartituren und theatralen Spielanweisungen ermöglichte. Dahinter steht immer ein kompositorischer Plan des Ganzen. Durch diese Simultaneität des Autonomen gelang Hirsch eine eigene Art der Kontrapunktik, eine Art „Metapolyphonie“.
Das musikdramatische Projekt nach Franz Kafka Beschreibung eines Kampfes (1986-92) ist ebenfalls als Konvolut angelegt. Neben der musiktheatralen Gesamtaufführung ist es möglich, einzelne Bestandteile autonom oder in kleineren Kombinationen aufzuführen – eine Bewegung im Kontinuum zwischen Konzert und Musiktheater.
Musique Concrète
Neben Instrumentalmusik und Musiktheater ist das „Genre der musique concrète“ ein wichtiger Strang in Michael Hirschs kompositorischem Werk. Die Fixed Medias fungieren in verschiedensten Kompositionen als Zuspielungen, auf die sich Instrumente oder Stimmen beziehen oder die eigenständig simultan ablaufen. In Beschreibung eines Kampfes hat die Schicht der musique concrète die Funktion eines „akustischen Bühnenbilds“. Meistens sind sie auch als isoliert aufführbare Werke gültig, wie beispielsweise Umbau 2 (2010), das als Zweikanal-Version auch auf CD erschien und in seiner sechskanaligen Fassung Bestandteil des Volumens 3 von Hirschs Konvolut-Projekt ist. Die Fixed-Media-Kompositionen sind Überlagerungen von zum Teil schwer identifizierbaren konkreten Klängen, geräuschhaft und perkussiv, dem erweiterten Arsenal eines Schlagzeugers zuzurechnen, wenn Tonhöhen ins Spiel kommen, bleiben sie eher unbestimmt. Man hört Aktionen wie Rollen, Wühlen, Fallenlassen, Zerknüllen und kann die Objekte dazu allenfalls assoziieren. Den Kompositionen ist eine besondere Art der Performativität eigen, Hirsch selbst sprach, analog zu Schnebels „sichtbarer Musik“, von „hörbarem Theater“. In einigen Stücken wie im Zuspiel zu Intérieur à 1 (2015) erscheinen auch von Hirsch selbst eingesprochene Sprechfragmente von eigens dafür geschriebenen Lautkompositionen. Die Kompositionsmethode dieser Fixed Medias ist die der Collage, sie sind streng durchkomponiert, die Klänge sind entsprechend einer je Stück eigenen Dramaturgie dezidiert gesetzt. Die Spuren sind nur gelegentlich dezent elektronisch bearbeitet, z. B. verlangsamt oder in unterschiedliche (künstliche) Räume platziert.
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